Lernen und Arbeiten: Zwei ziemlich beste Freunde

Lernen im Beruf wird immer wichtiger. Dieser These würde zunächst jeder zustimmen. Zu der Frage wie, wo, wann und was ein Berufstätiger heute lernen soll, gibt es jedoch sehr unterschiedliche und kontroverse Standpunkte. Die klassische Personalentwicklung differenziert Konzepte wie Trainings-on-the-job, Trainings-near-the-job  und Trainings-off-the-job. Meistens wird das Lernen immer noch mit „formalem“ Lernen in Verbindung gebracht. Lassen sich die Betrachtungsweisen aufrecht erhalten? Oder wohin führen uns neue Lernwelten?

Der neue Blick auf die berufliche Weiterbildung

Die viel zitierte Aussage 70-20-10 (Vgl. Jennings, Charles, 2018)  besagt, dass wir in der Ausübung unserer Aufgaben am Arbeitsplatz das meiste lernen. Während der Arbeit – also on-the-job- erwerben wir etwa 70 % der Kenntnisse und Fertigkeiten, die für die Erledigung unserer beruflichen Aufgaben erforderlich sind. Weitere 20 % eignen wir uns im sozialen Miteinander an. Das soziale Netzwerken und der Austausch mit Kollegen*innen sind also ebenfalls weitere wichtige Lernquellen. Nur 10 % entfallen auf das formale Lernen. Gerade auf diese letzten 10 % haben wir uns gerade im beruflichen Kontext viel zu lange konzentriert und damit vielfältige Chancen und Potentiale vergeudet.

 

Lernkonzepte in Unternehmen sollten nach Jennings vier Dimensionen des beruflichen Lernens berücksichtigen:

  • Erfahrungslernen (Experience)
  • Praxis und Umsetzung (Practise)
  • Netzwerken und Kommunikation (Communication)
  • Reflektion (Reflection).

Um zu einem neuen tragfähigen Ansatz erfolgreicher Lernprozesse im Unternehmen zu gelangen, ist es mit Sicherheit sinnvoll, alle vier Lerndimensionen in die Überlegungen einzubeziehen. Aber zunächst hilft auch ein Blick auf die Akteure der betrieblichen Weiterbildung: der lernende Mitarbeiter, der Lernverantwortliche und das Unternehmen insgesamt.

Vom Knowledge Worker zum Learning Worker

Eine getrennte Betrachtung hat sich überholt, denn es geht vielmehr darum, beide Felder stärker in Einklang zu bringen. Das alte Sprichwort „Wissen ist Macht.“ hat damit ausgedient. Die Entwicklung von dem Knowledge Worker zum Learning Worker ist dabei ein wichtiger Schritt in Richtung neuer und zukunftsfähiger Arbeitswelten. Es geht also nicht mehr darum, möglichst umfassendes  Wissen zu haben und es anzuwenden, Eigenschaften die den Knowledge Worker beschreiben. In einer Arbeitswelt 4.0 ist es viel wichtiger, die permanente Bereitschaft zu haben, sich in kurzer Zeit Neues anzueignen und zu lernen. Diese Attribute würde ich dem Learning Worker zuschreiben. Lernbereitschaft und -fähigkeit der Mitarbeiter werden damit zu einer grundlegenden Anforderung im Arbeitsleben und damit zu einer wichtigen Schlüsselqualifikation.

Learning Worker: Selbstorganisiertes Lernen

Mit diesem neuen Lernverständnis geht eine Verschiebung von Verantwortlichkeiten in den Unternehmen einher. Die Weiterbildung ist nicht mehr die zentrale Aufgabe der Personalentwicklungsabteilung, sondern jeder einzelne übernimmt Verantwortung für seine individuelle Lernreise. Das Interesse, die Kompetenzen zu entwickeln und die Skills auszubauen, die für die Aufgaben des Jobs relevant erscheinen und auf dem Arbeitsmarkt nachgefragt werden, ist ein grundlegendes Anliegen der meisten Menschen. Diese Aufgabe kann im Grunde nur jeder selbst für sich definieren, denn sie hängen eng mit den individuellen beruflichen Zielen, der Ausbildung, den Vorkenntnissen, den Karrierezielen und der momentanen Lebenssituation zusammen. Da sollte sich wirklich niemand das Zepter aus der Hand lassen. Der Learning Worker übernimmt selbst die Verantwortung für seine Lernziele, Lernmedien und Lernorganisation. Er wird vom passiven Lernkonsumenten zum aktiven Gestalter seines eigenen beruflichen Lernprozesses.

Lernenabler und Lerncoach statt Personalentwicklung

Dann fragen Sie sich jetzt vielleicht:“… und was macht dann eigentlich noch die Personalentwicklungsabteilung?“. Das Aufgabenfeld fällt ganz sicher nicht weg, sondern die Aufgabenstellungen verschieben sich und gewinnen an Bedeutung. Das Spektrum an Zuständigkeiten wird  vielfältiger und anspruchsvoller. Denn Personalentwickler und Lernverantwortliche im Unternehmen bieten nicht mehr in erster Linie Workshops und Trainings an, sondern eine Hauptaufgabe wird es zukünftig sein, das Thema Lernen im Business zur Chefsache zu machen. Lernexperten sollten die Initialzündung für Neues Lernen geben. Darüber hinaus sollten sie über alle Hierarchieebenen Ansprechpartner für alle Weiterbildungsthemen sein. Eine Facette wäre beispielsweise die Mitarbeiter*innen konkret darin zu unterstützen Lernreisen zu definieren, sich Lernziele zu setzen und dann geeignete Lernformate zu finden. Hierbei ist kompetente Unterstützung von Lernprofis gefragt!

Learning für Unternehmen: Lernkultur ermöglichen

Der richtige Ansatzpunkt für Unternehmen kann es nur sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, die langfristig eine Lernkultur entstehen lassen. Eine Unternehmens- oder Lernkultur kann nicht „künstlich“ erzeugt oder strategisch geplant werden. Es können nur Impulse gegeben, Freiräume gewährt und Bedingungen kreiert werden, die eine lernfreundliche Kultur fördern. Wie diese gelebt wird, entscheiden alle Mitarbeiter*innen des Unternehmens – egal auf welcher hierarchischen Ebene oder in welcher Funktion sie arbeiten – gemeinsam. 

Mindchange: Arbeit und Lernen gehören zusammen

Die wesentliche Grundlage für ein zukunftsfähiges Lernkonzept in Unternehmen ist das Verständnis, dass Arbeit und Lernen zwei Seiten einer Medaille sind. Sie gehören zusammen. Das eine funktioniert nicht ohne das. Anders können wir mit den Anforderungen der Arbeitswelt von heute und morgen nicht mehr Schritt halten. Dazu müssen wir noch so einige Nüsse knacken und Denkmuster ändern. Nur ein paar Stichwörter dazu:

  • Ist Lernen am Arbeitsplatz Arbeitszeit oder Freizeit,
  • Ist nur formelles Lernen echtes Lernen,
  • Ist der kollegialer Austausch in der Kantine soziales Lernen oder Küchentratsch?

Weitere Links zum Thema  / Quellen:

 

Charles Jennings im Interview mit Manager Seminare auf der Learntec 2018.

 

Rüdiger Keller und Sebastian Lesch Lernen und Arbeiten 4.0 – Das Lernen verschmilzt mit der Arbeitswelt (www.zukunftderarbeit.de)

 

Fotos  Pixabay.