Betriebliche Weiterbildung in der Neuen Arbeitswelt oder der Griff nach den Sternen

Die Umwelt ist zunehmend von Volatilität (V = Volatitility), Unsicherheit (U = Uncertainity), Komplexität (C = Complexity) und Mehrdeutigkeit (A = Ambiguity) geprägt. Das hat uns die aktuelle Krisensituation der Corona-Pandemie sehr eindrücklich gezeigt. In Kreisen von Lernexperten in Unternehmen wird viel darüber diskutiert, dass es in dieser VUCA-Welt weniger um Wissen geht, denn das verändert sich permanent und wird immer komplexer. Im Vordergrund steht viel stärker das Lernen an sich. Das gilt sowohl für das Unternehmen insgesamt als „Lernende Organisation“ als auch für jeden einzelnen Mitarbeiter. An diesen neuen Anforderungen muss sich die betriebliche Weiterbildung orientieren, um die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen zu sichern.

 

Lernen als neue Kernkompetenz

Kompetenzen stellen Mitarbeiter auf verschiedenen Ebenen der täglichen Arbeit unter Beweis. Umschrieben wird der Begriff „Kompetenz“ folgendermaßen: es geht darum, Wissen, Qualifikationen, bestimmte Fähigkeiten und Fertigkeiten einzusetzen, um eine Aufgabe zu bewältigen oder ein Problem zu lösen. Sie machen die Mitarbeiter als Träger der Kompetenzen zu den eigentlichen Akteuren des Unternehmens und sind damit gleichzeitig Kern des Unternehmens. Kompetenzen gelten allgemein als etwas, dass entwickelt werden kann. Sie stehen aus genau diesem Grund schon immer im Zentrum aller Maßnahmen der Personalentwicklung und sind daher erstmal nichts Neues.

 

Mit Haltung zum lernenden Mitarbeiter

Neu ist aber, die geänderte Perspektive, aus der auf das Thema geschaut wird. Und das hat viel mit der Haltung zu tun, mit der gelernt wird und was als dann Lernerfolg gesehen wird. Beeindruckt hat mich dazu ein Video von Carol Dweck (US-amerikanische Psychologieprofessorin), in dem sie das Growth Mindset und Fixed Mindset gegenüberstellt. Sehr verkürzt gesagt, wird darin ein Lernender mit einem Fixed Mindset so beschrieben, dass er ein eher statisches Verständnis von Wissen hat. Es wird eher davon ausgegangen, dass Wissen eine Gabe ist. Wissen gilt demnach als Indikator von Intelligenz und Lernerfolge – meist gute Noten im schulischen Sinn – sind der Maßstab. Für Lernende mit einem Fixed Mindset bedeuten Fehler, versagt zu haben.

Ein Lernender mit einem Growth Mindset betrachtet dagegen – fast – alles als erlernbar. Für ihn hängt Wissen stark mit Fleiss und Ehrgeiz zusammen und Erfolge können „erarbeitet“ werden. Fehler werden nicht als Scheitern, sondern als Ansporn interpretiert, aus diesen zu lernen und mehr Energie aufzuwenden, um die Aufgabe beim nächsten Versuch besser zu meistern.

 

Fehler erwünscht!

In einer positiven Lernkultur, in der Fehler erlaubt sind, kann der „Griff nach den Sternen“ Realität werden. Das soll heißen, dass Lernziele durchaus ambitioniert sein können und eher eine Zukunftsvision darstellen. Schließlich werden sie als Herausforderung gesehen, an der wir wachsen können. Es wird nicht nur bewertet, ob das Ziel erreicht wird, sondern es geht um den Weg, den der Lernende einschlägt, um sein Ziel zu erreichen. Honoriert und belohnt wird in erster Linie die Anstrengung, die er unternommen hat, sein Ziel zu erreichen.

Damit werden auch in der betrieblichen Aus- und Weiterbildung einige der starre Denkmuster und Dogmen aufgehoben. Was zählt, ist der Wunsch, etwas zu erlernen und ein definiertes Ziel zu erreichen. Dann wird plötzlich so manches möglich. Die Vorstellung, dass es ein gradliniger und lückenloser Lebenslauf sein muss, um „Karriere“ zu machen, bei der ein Schritt auf den anderen folgt, weicht einer bunten und vielfältigen Mosaikkarriere. Die Möglichkeiten unterschiedliche Interessen und Schwerpunkte im beruflichen Alltag zu nutzen, kann die Bankangestellte, zur selbstständigen Café-Besitzerin machen und anschliessend zur Programmiererin in einem Start-Up werden lassen. Der Quereinstieg kann zur Normalität werden, weil jemand gerne etwas Neues lernen möchte. Der Umstieg nicht ein notwendiges Übel sein, sondern als neue und spannende Herausforderung betrachtet werden.

 

Selbstorganisiertes Lernen als Schlüssel zum Erfolg

Wichtig ist der geänderte  Blick auf die Verantwortung für das Thema Lernen im Business. Hier rückt der Lernende selbst, der Mitarbeiter, stärker in den Fokus. Vorgesetzte und Personalabteilung können unterstützen und Rahmenbedingungen herstellen, die Lernprozesse begünstigen. Die Verantwortung, etwas zu lernen, liegt jedoch eindeutig beim Mitarbeiter. Der Lernende übernimmt selbst die Festlegung seiner individuellen Lernziele, -inhalte und -formate. Denn nur er selbst weiß exakt, welche Vorkenntnisse er mitbringt, welche Kompetenzen er ausbauen möchte und welche Karriereziele er verfolgt.

Dennoch kann selbstorganisiertes Lernen meiner Meinung nach kein reiner Selbstzweck sein. Es sei denn das Unternehmen betrachtet jede Form des Lernens als Zeichen von Flexibilität und Entwicklung. Das kann möglicherweise in sehr kreativen Arbeitsfeldern oder Branchen zutreffen. In den meisten Fällen gilt es jedoch, die individuellen Lernziele mit den Zielen des Unternehmens in Einklang zu bringen oder Schnittmengen zu suchen, die das Lernfeld der Mitarbeiter bestimmen.

 

Link zum Thema

Developing a Growth Mindset with Carol Dweck www.standfordconnects.stanford.edu/